Jahreszeitenbrief II – 2012
Liebe verwaiste Eltern und liebe verwaiste Geschwister
viele Wochen und Monate, z.T. Jahre, manchmal auch nur wenige Tage sind Sie mit Ihrem erkrankten Kind hier in der Kinderklinik und dem Freiburger Elternhaus gewesen. Wir haben Sie in Ihrer belastenden Familiensituation mit unseren Angeboten unterstützt und begleitet – so gut es ging. Unser Anliegen ist, Sie auch in der schweren Zeit von Abschied und Trauer nicht allein zu lassen.
Wenn Sie zu weit weg wohnen, um an den Gruppen und Gesprächsangeboten in Bühl, Schopfheim und Freiburg teilzunehmen, kommt es Ihnen vielleicht entgegen, drei Mal im Jahr von uns zu lesen.
Dieser zweite Brief umschließt den Sommer – eigentlich eine Zeit, in der es Ferien gibt, vielleicht eine Reise ansteht, Ausflüge gemacht werden. Die Kinder steuern auf die großen Ferien zu und an den mehr oder weniger heftigen Auseinandersetzungen zu Hause, merkt man wie nötig ein „Abspannen“ von allen Anforderungen ist. Auch hier in unserer Geschwisterspielstube wird wieder an einem Ferienprogramm für die Kinder gebastelt, deren Bruder oder Schwester gerade auf Station Pfaundler oder Station Escherich behandelt werden.
Doch viele der verwaisten Familien sehen keinen Sinn weg zu fahren, Urlaub zu machen. Beides ist schmerzlich, erinnert an Zeiten vor dem Tag „X“ – vor diesem ganzen Albtraum ab der Diagnose Krebs.
Eine Mutter erzählt: „jetzt ist es schon der 6. Sommer ohne unsere Tochter Johanna. Inzwischen freue ich mich wieder auf die warmen Abende. Jetzt kann ich endlich wieder draußen sitzen und meinen Gedanken nachgehen. Ich schaue in den Himmel und denke, wo Johanna jetzt wohl sein mag? Oder steht sie neben mir und schaut mit mir oder durch mich die Sterne an? Es macht mich nervös, wenn ich bemerke, dass ich mich an manches nicht mehr so gut erinnern kann – ich will sie doch nicht noch mehr hergeben müssen. Mit einem Gute Nacht Gruß verabschiede ich mich dann und gehe schlafen“.
Roland Kachler, der seinen Sohn durch einen Verkehrsunfall verlor, gibt hier einen hilfreichen Tipp, der der Angst vor dem Vergessen entgegen wirken kann: Schaffen Sie sich ein schönes Buch mit leeren Seiten an und schreiben Sie 10 Tage lang Sätze auf, die beginnen mit: „ich sehe Dich, wie….. (z.B. Du im Garten auf der Schaukel sitzt oder ganz stolz über den Fußballplatz läufst etc.)
Wenn die 10 Tage vorbei sind, lassen Sie noch 1-2 Seiten in Ihrem Buch frei und beginnen eine Neue Seite mit: „ich höre Dich, wie…… (z.B. Du nach der Schule heim kommst und „Mama“ rufst, auf deinem Schlagzeug die Nachbarn nervst etc.)
Wieder sind 10 Tage vergangen und Sie lassen noch Platz in Ihrem Buch für weitere Erinnerungen. Eröffnen die nächste leere Seite, die beginnt mit: „Ich fühle Dich, wie …..(z.B. wie Du mich in den Arm nimmst, mir einen Kuss gibst und aus dem Haus schwirrst, oder wie Du mir immer wieder Mut machst, die schlimmen Behandlungen durchzustehen).
Wieder sind 10 Tage vergangen und Sie schreiben weiter Erinnerungen auf, die beginnen mit: „Ich rieche Dich wie…..“ (z.B. Du deine erste heimliche Zigarette geraucht haben musst und ich tue so, als würde ich es nicht bemerken).
Es ist Sommer – und Urlaubszeit, wie leicht war es früher zu planen und in den Ferien einfach unterwegs zu sein. Diese Unbeschwertheit hat aufgehört – und dennoch müssen Sie mit Ihren Kindern den Alltag bewältigen. Bedenken Sie, liebe Eltern, dass Ihre anderen Kinder auch einen ganz einzigartigen Menschen verloren haben. Dass hinter ihnen ebenso eine aufwühlende und zutiefst verstörende Zeit liegt und dass auch ihre Trauer ebenso schwer ist wie die Ihre und sich doch ganz anders zeigt als die Trauer der Eltern.
Zum Abschluss schicke ich Ihnen ein Gedicht – passend zum Schmetterlingsbild am Beginn dieses 2. Jahreszeitenbriefes. Trauen Sie sich, Kontakt mit mir aufzunehmen, wenn Fragen da sind, Ungelöstes quält, oder einfach um ein bisschen zu erzählen wie es Ihnen in Ihrer Familiensituation gerade geht.
Warten auf den Schmetterling
Ach es ist schwer
Auf den Schmetterling zu warten
Lichte Tupfenflügel
In warmer Sommersonne
Es ist schwer
Im Gehäuse dunkel – brodelnder Gedanken
Im Strudel von Warum und was jetzt
Den Glauben an den Schmetterling
Nicht zu verlieren
Im Fühlen des traurig – runzeligen Panzers
Der mich vom Leben trennt
Es ist schwer
Sich selbst zu lieben
Und an das Leben zu glauben
Jetzt im Dunkel
Und dennoch
Wenn die Zeit da ist
Bricht der Panzer
Zeigt sich das Neue
Entfaltet sich Schönheit
Fliegt er
Der Schmetterling meiner Seele
Ins Licht
Brigitt Enzner-Probst
Aus dem Elternhaus in Freiburg sende ich Ihnen meine besten Wünsche für Geduld und Kraft
Annette Hoeger